The Who waren eine Gruppe, die
zwischen 1964 und 1982 18 Jahre lang Rockmusik-Geschichte
geschrieben hat und neben den Beatles und den Rolling Stones zu
den Top 3 der britischen Bands zählte. Unvergessen sind ihre
Hymnen der 60er und 70er Jahre Jahre: My Generation, Substitute,
Happy Jack, Magic Bus, Pinball Wizard, Won't Get Fooled Again,
nur um einige ihrer Hits aufzuzählen. Sie setzten Meilensteine
mit Tommy, der ersten Rock-Oper in der Geschichte der Popmusik,
mit dem Livealbum Live At Leeds, mit den Klassikern Who's Next
und Quadrophenia. Sie waren Sprachrohr einer ganzen Generation,
die Helden der Mods, die Vertreter des Pop-Art; sie überstanden
die Hippie- und Glamour-Bewegung und sorgten bei dem legendären
Woodstock Festival 1969 für Furore. Ihre Musik war maßstäblich
für die Entwicklung des Hard- und Heavy-Rock, sie gelangten als
lautester Live-Act ins Guiness-Buch der Rekorde und ihre
sensationelle Bühnenshow mit dem rituellen Zertrümmern der
Instrumente war spektakulär und einzigartig zugleich. The Who
gelten heute noch als Urväter des Punk-Rock.
|
|
Dennoch ist nach einer Farewell-Tour das Ende der Who 1983
besiegelt. Wie konnte es aber dazu kommen? Nach dem tragischen
Tode ihres Schlagzeugers Keith Moon im Jahre 1978 stehen The Who
vor der entscheidenden Frage, ob und wie es denn nun mit der Band
weitergehen solle. Sie schlagen vielsprechende Chancen auf
musikalische und personelle Entwicklungsmöglichkeiten aus
und beschließen, statt dessen ihre musikalische Tradition fortzusetzen.
In der Überzeugung, daß Keith Moon es so gewollt hätte,
engagieren The Who einen neuen Schlagzeuger. In Kenney Jones,
der früher bei den Small Faces trommelte, finden sie recht
schnell einen neuen Drummer.
Doch trotz der musikalischen Qualitäten von Kenney Jones stellt sich bald
heraus, daß The Who ihrem markanten Image der rebellischen
Rockheroen nicht mehr gerecht werden können, sondern daß sie
vielmehr zu einer lebenden Legende geworden sind. Zudem wird
schon bald der Druck der Plattenfirma spürbar, endlich wieder
einmal einen Meilenstein a la Tommy oder Who's Next
abliefern zu müssen.
All das macht dem kreativen Kopf der Who,
Pete Townshend, in dieser Zeit schwer zu schaffen. Gewohnt, ständig
neue Akzente in der Rockmusik zu setzen, gelangt Pete Townshend
zu der Erkenntnis, mit den Who irgendwo in einer Sackgasse zu
stecken. Im depressiven Selbstzweifel, keine guten Who-Songs mehr
schreiben zu können und keine Vision zu haben, wie die Zukunft
der Who aussehen könnte, verstärken sich seine Alkohol- und
Drogenprobleme immens. Zudem gibt es in der Band gravierende
Meinungsverschiedenheiten über den weiteren Werdegang der Who.
Ende 1983 sieht Pete Townshend
schließlich für The Who keine Zukunft mehr und verkündet
offiziell, daß es kein weiteres Who-Album und auch keine Tournee
mehr geben wird. Zu diesem Zeitpunkt ist dies natürlich ein schwerer
Schlag für Fans und Musikbegeisterte. Doch so paradox es klingen
mag, wird diese Entscheidung, wie sich später herausstellen wird,
das Überleben der Who sichern.
Doch zunächst bleibt
es dabei: The Who gibt es nicht mehr. Pete Townshend, Roger
Daltrey, John Entwistle und Kenney Jones gehen ihre eigenen Wege.
Quasi als Abgesang auf ein
erfolgreiches Kapitel Musikgeschichte bringt die Plattenfirma im
Jahr 1984 noch zwei Alben der Who heraus. Zum einen das mit
Who's Last betitelte Doppel-Album von der letzten
Tour und gleichzeitig eine Singles-Compilation mit den größten
Hits.
Das wäre es auch endgültig gewesen, doch im Sommer 1985 gibt es
noch einmal ein kurzes Lebenszeichen der Who. Dank der überzeugenden
Überredungskünste Bob Geldoff's treffen The Who am 13. Juli im
Londoner Wembley Stadion noch einmal zusammen, um anlässlich des
Live Aid Konzertes aufzutreten. Doch trotz dieser 20-minütigen
Reunion lassen The Who, die wiederum mit Kenney Jones auftreten,
keinen Zweifel daran, daß es sich bei diesem Auftritt lediglich
um ein einmaliges Ereignis handelt und daß es The Who auch in
Zukunft weiterhin nicht geben wird.
Tatsächlich bleibt es auch bei
diesem kurzen Gastspiel. In den folgenden zweieinhalb Jahren tut
sich in Sachen The Who nahezu gar nichts mehr und Fans und
Fachpresse scheinen sich mit dem endgültigen Ende der Who allmählich
abzufinden. Lediglich 1985 und 1987 erscheinen noch mit
Who's Missing und Two's Missing zwei
Alben, die seltenes und teilweise unveröffentlichtes Material enthalten.
Dennoch kommen The Who im Februar
des Jahres 1988 noch einmal kurz auf einer Bühne zusammen. Von
der Dachorganisation der britischen Phonoindustrie wird ihnen
ein Preis für "allgemeine Verdienste" verliehen. The
Who bedanken sich bei dieser Veranstaltung mit einem Minikonzert
von drei Songs. Erneut sitzt Kenney Jones am Schlagzeug und kann
somit gerade noch seine 10-jährige Bandzugehörigkeit
zelebrieren, denn dies soll sein letzter Auftritt mit The Who
gewesen sein.
Die verliehene Auszeichnung nimmt der mittlerweile Mittvierziger
Pete Townshend zum Anlass, auf die langjährige Historie der Who
zurückzublicken und er kommt zu der Überzeugung, daß
The Who doch eine Band ist, die etwas auszusagen vermag und nicht
unwesentlich Rock-Geschichte geschrieben hat. Er denkt sogar
darüber nach, anlässlich des 25-jährigen Band-Jubiläums
mit The Who noch einmal auf die Bühne zurückzukehren.
Und so kommt es im Sommer 1989 in der Tat zu einer groß angelegten
Amerika-Tournee, um das 25-jährige Bandbestehen zu feiern.
Weggekommen von dem klassischen 4er-Lineup gestalten The Who für
dieses Jubiläum ein monumentales und gut dreistündiges
Rock-Spektakel rund um Tommy, wobei viele Musiker und etliche
Gaststars mitwirken. So beteiligen sich an der Show über
fünfzehn Musiker, darunter eine Bläsersektion, drei
Background-Sängerinnen und ihr alter Freund Rabbit Bundrick an
den Keyboards. Erstmals seit 1979 sitzt auch Kenney Jones nicht
mehr am Schlagzeug. Seine Rolle übernimmt Simon Phillips.
Mit ihrer neuen Show überzeugen The Who ihre Fans und letztendlich
auch das Gros ihrer Kritiker gleichermaßen. Vergleichbar mit ihren Erfolgen
in den 60er und 70er Jahren gelangen The Who und ihre Musik wieder zu
enormer Popularität und außer den alten Fans können sie auch
eine riesige Anhängerschaft junger Fans hinzugewinnen. Im Frühjahr
1990 erscheint unter dem bezeichnenden Namen Join Together eine
3LP-Box mit dem kompletten und live mitgeschnittenem Songmaterial dieser
Tour.
Doch wer nun glaubt und hofft, daß The Who fortan wieder neue Alben
produzieren und erneut auf Tournee gehen werden, der wird sich erneut
täuschen. Abermals lassen The Who verlauten, daß dieses ein einmaliges
Ereignis ausschließlich zum 25-jährigen Bandjubiläum gewesen
sein wird. Für lange Zeit wird es wieder sehr ruhig um die Band.
Das folgende halbe Jahrzehnt wandert jeder der drei "Ur-Who"
wieder auf Solopfaden. Das ändert sich auch nicht, als 1994 mit dem
Titel 30 Years Of Maximum R&B eine umfangreiche 4CD-Box mit 95(!)
Tracks aus knapp 30 Jahren Who-Geschichte herauskommt. Die sehr reichhaltig
gestaltete Box beinhaltet teils bislang unveröffentlichte Live- und
Studio-Tracks und teils überarbeitete Versionen bereits bekannter
Titel, die alle digital remastert wurden. Zum 30-jährigen Geburtstag
der Band kann kein schöneres Dokument auf den Markt kommen, welches
die musikalische Entwicklung der Who über diesen gesamten Zeitraum
so ausführlich darstellt.
Ganze sieben Jahre vergehen seit dem letzten Auftritt, bis The Who
doch noch einmal zusammenkommen. Das denkwürdige Ereignis findet am 29. Juni
1996 vor 150.000 Fans im Londoner Hyde Park statt. Verschiedene Künstler,
unter anderem Eric Clapton und Bob Dylan treten beim Masters Of
Music Festival zugunsten der Prince's Trust Stiftung auf, so auch
The Who. In einer ähnlich breit angelegten Show wie auf ihrer
1989er Tour mit Tommy präsentieren Pete Townshend und Co.
diesmal ihr zweites Monumentalwerk Quadrophenia.
Unmittelbar nach dem Hyde Park
Konzert führen The Who die Quadrophenia-Show noch an sechs Abenden
im New Yorker Madison Square Garden auf. Aufgrund der überragenden
Erfolge bei ihren Auftritten in London und New York entschließt
sich die Band kurzfristig, mit der Quadrophenia-Show erneut auf
Tournee zu gehen, zunächst in Amerika und im Frühjahr 1997 auch
in Europa. Als Schlagzeuger engagieren sie Zak Starkey, Sohn vom
Beatles-Schlagzeuger Ringo Starr.
Die Tourneen werden nicht nur finanziell sondern insbesondere auch
persönlich ein voller Erfolg für The Who. Man hat wieder Spaß,
gemeinsam auf der Bühne zu stehen. Zusätzlich haben sie mit
Zak Starkey einen erstklassigen Schlagzeuger gefunden, der vorzüglich
zu dem typischen Who-Sound beitragen kann. The Who existieren fortan wieder
als Band und sie gehen weiter auf Tournee.
Diese Live-Reunion der Who wird auch gleich mit einem Live-Album
standesgemäß gefeiert. Zwar erscheint nicht wie oft üblich ein
Mitschnitt der aktuellen Tour, sondern es wird eine Liveaufnahme von dem
1970er Isle Of Wight Festival veröffentlicht, bei dem sich
The Who ähnlich hard und heavy zeigen wie auf ihrem Klassiker
Live At Leeds aus dem gleichen Jahr.
Im darauf folgenden Jahr gönnen
sich The Who eine kleine Ruhepause. Erst gegen Ende 1999 treten
The Who wieder auf und touren mit einigen Unterbrechungen bis
Ende 2000 in den USA und England. Mit Zak Starkey, der wohl
mittlerweile endgültig seinen festen Platz am Who-Schlagzeug
gefunden haben dürfte, und Keyboarder John "Rabbit" Bundrick,
der seit jeher als "fünfter" Who gilt, finden The Who
nicht nur personell zu ihrer Rockformation aus alten Tagen zurück,
sondern sie spielen auch einen Querschnitt aus ihren alten Hits
und präsentieren sich so wie es für sie typisch war und ist.
Infolge dessen erscheint sogleich
auch eine Zusammenstellung der BBC-Sessions mit alten Radio-Versionen
von Who-Hits aus den 60er Jahren. Und um den historischen Bogen
von den Who 1965 zu den Who 2000 zu spannen, können die Fans
auch gleich noch einige Live-Mitschnitte der zurückliegenden
Tour aus dem Internet herunterladen.
Einen weiteren Rückschlag erleidet die Band unmittelbar vor dem Start
ihrer 2002 USA-Tournee. Am 27.Juni verstirbt völlig unerwartet und im
Alter von 57 Jahren John Entwistle in Las Vegas an einem Herzversagen.
Nicht zuletzt auch zu Ehren und in Gedenken an ihren langjährigen
Bassisten entschliessen sich Pete Townshend und Roger Daltrey die Tournee
durchzuführen. Mit zwei Tagen Verspätung und Pino Palladino
an der Bassgitarre sowie Pete Townshends Bruder Simon als zusätzlichem
Gitarristen startet die Tour am 1.Juli in Hollywood.
Doch allen Spekulationen über ein nahendes Ende der Who zum Trotz
wird die Band aktiver denn je. Während ihrer 2004 Tournee treten The Who
erstmals in ihrer 40-jährigen Bandgeschichte in Japan auf, wo bei erster
Gelegenheit Pete Townshend seit langem wieder einmal eine Gitarre zu Bruch gehen
lässt. Und auch die Fans in Australien dürfen The Who nach
36-jähriger Abwesenheit wieder live auf der Bühne erleben. Im gleichen
Jahr erscheinen mit Real Good Looking Boy und Old Red Wine zwei
neue Who-Songs auf der Compilation-CD Then And Now.
Und Pete Townshend hat noch mehr parat: Nach 24 Jahren Albumabstinenz
- It's Hard wurde 1982 veröffentlicht - erscheint im Oktober 2006
mit dem Titel Endless Wire das neue Studio-Album der Who mit 19 brandneuen
Kompositionen aus der Feder des Who-Gitarristen. Begleitet wird die
Veröffentlichung durch eine phänomenale zweijährige Welttournee
durch 18 Länder. Auch im Anschluss daran präsentieren The Who auf weiteren
Mini-Tourneen ihre energiegeladene Show, unter anderem erneut in Japan (November
2008) und Australien (März 2009).
Im Anschluss daran arbeitet der Who-Genius an einem weiteren musikalischen Werk,
das den Titel Floss trägt und in 2011 auf die Bühne kommen sollte. Pete
Townshend selbst kommentiert: "Die Songs sind durchsetzt mit Surround-Klängen
voller komplexer Sound-Effekte und musikalischer Montagen. Floss wird ein musikalisches
Klang-und-Licht-Stück, welches besonders für Open-Air-Veranstaltungen und Arenen
konzipiert ist." Das Werk wurde bis heute nicht wie geplant realisiert. Jedoch
ist hieraus Pete Townshends Novelle The Age Of Anxiety entstanden, die 2019
erschienen ist.
Von 2014 bis 2017 feiern The Who und ihre Fans das 50-jährige Band-Jubiläum
mit zahlreichen Veröffentlichungen auf CD und DVD und einer großen, zunächst
als Abschluss-Tour geplanten Mammut-Tournee. Doch in 2019 gehen Roger und Pete unter dem
Banner The Who Moving On und begleitet von lokalen Symphonie-Orchestern erneut
auf Nordamerika-Tournee.
Und nicht nur das, Ende 2019 erscheint nach 13 Jahren auch noch
ein neues Studio-Album mit dem schlichten Titel Who, das von vielen Kritikern als
das beste Album seit Quadrophenia bewertet wird.
[ Redaktionsschluss September 2022 ]